Sandra Ade: An manchen Tagen steht die Erde kurz still. Kürzestgeschichten
hochroth Heidelberg 2025.
ISBN: 978-3-949850-58-5
Illustration und Layout: Sandra Ade
Seiten: 50, 19 x13 cm, Broschure
ISBN: 978-3-949850-58-5
Alle Rechte liegen bei der Urheberin.
Die Kürzestgeschichte ist ein Genre, das man in der Literatur eher selten antrifft. Es sind vor allem die Unstimmigkeiten im Text, die die Wirkung ausmachen, indem sie im Lesenden eigene Erfahrungen und Einstellungen aktivieren. Oder neue Perspektiven öffnen. Die Kürzestgeschichten in Sandra Ades literarischem Debüt „An manchen Tagen steht die Erde kurz still“ bestehen aus nur wenigen Sätzen. Wie Gedichte sind alle Komponenten sehr genau aufeinander abgestimmt und ausbalanciert: Der Rhythmus, die Dramaturgie, der Wechsel zwischen Beobachtetem und Erzähltem, zwischen Sichtbarem und Unbewussten. Die Texte haben Bodenhaftung, transzendieren diese jedoch. Man merkt den Geschichten an, dass hinter ihnen ein langer Reifeprozess steht und dass sie aus der Stille und Kontemplation entstanden sind. Inhaltlich geht es meist um Erfahrungen aus dem Alltag, könnte man meinen, doch immer ist es der einzigartige Fokus, der spürbar werden lässt, dass der Einzelne Teil von etwas Größerem ist, was sich seiner Kontrolle entzieht. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf Nuancen, auf die wir üblicherweise nicht achten. Was hat es mit der Frau auf sich, die behauptet, ein Habicht zu sein? Was geschieht wirklich, wenn sich jemand auf den Weg zu einem Versöhnungstreffen macht? Schließlich erfahren wir sogar, was passiert, wenn die Erde an manchen Tagen kurz stillsteht.
Martina Weber
Textproben:
Verzögerung
Eh du fortgehst, bleibe noch kurz. Die Hände tief in den Taschen vergraben, werfen wir uns einen Abschiedsblick zu. Er wird dich nicht halten, das weiß ich, aber für zwei Sekunden bleibst du noch und das übertrifft meine Erwartungen.Fabelwesen
Vier Arme und zwei Köpfe ineinander verschlungen. Ein Fabelwesen. Gleich wird es die Flügel abspreizen und davonfliegen. Oder es geht mit großem Getöse auf die Menschenmenge los und wird keinen verschonen. Doch da gehen die zwei Liebenden auseinander, küssen sich ein letztes Mal und gehen ihrer Wege.Lange Beziehung
Seit sie gestorben ist, sehe ich sie öfter. Manchmal steht sie auf der anderen Straßenseite und schaut herüber. Dann bleibe ich stehen und warte, bis sie nicht mehr zu sehen ist. Manchmal sitzt sie in der U-Bahn, die vor meiner Nase wegfährt. Ich schaue in ihre großen Augen, bis sie im Tunnel verschwunden sind. Dann steige ich in eine der nächsten Bahnen und fahre hinterher. Gestern saß sie kurz auf dem Beifahrersitz, als ich um das Auto ging. Ihre Haare sind länger geworden.
Sandra Ade, geboren 1973, hat Kommunikationsdesign studiert und lebt in der Nähe von Darmstadt. Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften (außerdem, Literaturbote, u.a.), 2015 Förderpreis beim Literaturwettbewerb zur Buchmesse im Ried. 2012 – 2014 Teilnehmerin der Darmstädter Textwerkstatt von Kurt Drawert. Seit 2014 Teilnehmerin der von Martina Weber geleiteten Literaturwerkstatt in Darmstadt.