Gedichte
Aus dem Portugiesischen von Odile Kennel
52 Seiten, Broschur
hochroth Berlin 2021
ISBN 978-3-903182-86-8
Gefördert von Direção-Geral do Livro, dos Arquivos e das Bibliotecas und Camões, I.P.
„Übersetzen ist eine Form des langsamen Lesens, eine Art eifriges Schreiben auf Durschlagpapier, ein Überschreiben des fremden Textes in einer eingebildeten Kommunikation mit den Toten (…) Wir (…) sind die Metöken des antiken Athens: Wanderer ohne Staatsbürgerschaft, Söldner, die handeln wie eifrige Staffelläufer. Wir berechnen nach Zeichen, zählen die Leerzeichen,“ – schreibt die Dichterin und Übersetzerin Margarida Vale de Gato. Muss die Übersetzerin sich komplett aufgeben? Trägt sie Verantwortung für das, was sie schreibt? Geht Poesie in der Übersetzung wirklich verloren, und was wird beim Übersetzen gewonnen? Augenzwinkernd verhandelt sie diese Fragen im posthumen Dialog mit den großen Theoretikern und Praktikern der Übersetzung – Martin Luther, Walter Benjamin, Michail Bachtin – und den Objekten ihres übersetzerischen Eifers – Marianne Moore, Emily Dickinson, Ernest Hemingway. Und wird dabei selbst von Odile Kennel, ebenfalls Dichterin und Übersetzerin, einfallsreich interpretiert.
Margarida Vale de Gato, Lyrikerin, Übersetzerin und Essayistin, lehrt Amerikanistik und Literarische Übersetzung an der Philosophischen Fakultät der Universidade de Lisboa. Sie übersetzte Autoren wie Henri Michaux, Nathalie Sarraute, René Char, Edgar Allan Poe, Herman Melville, Charles Dickens, Alice Munro aus dem Französischen und Englischen. Ihren Lyrikband Mulher ao Mar hat sie mehrfach in immer wieder veränderter Form veröffentlicht (zuletzt 2010 und 2013 bei Mariposa Azul), 2016 erschien der Band Lançamento (Douda Correria). Der vorliegende Band wurde eigens für die Übersetzung zusammengestellt und ist auf Portugiesisch noch nicht erschienen.
Odile Kennel, lebt in Berlin, Lyrikerin, Romanautorin, Lyrikübersetzerin. 2019 erschien ihr Gedichtband Hors Texte beim Verlagshaus Berlin, 2013 oder wie heißt diese interplanetare Luft bei dtv. Sie veröffentlichte zwei Romane, Was Ida sagt (2011) und Mit Blick auf See (2017), für den sie für den Alfred-Döblin-Preis nominiert war. Weitere Übersetzungen für hochroth: Érica Zíngano, Ich weiß nicht warum (2013), Raquel Nobre Guerra, Senhor Roubado (2019) sowie Luiza Neto Jorge, Ein äußerst spitzes Duell (2021).
TEXTPROBE
Übersetzen
Die wahre Übersetzung ist durchscheinend, sie verdeckt nicht das Original, steht ihm nicht im Licht, sondern läßt die reine Sprache, wie verstärkt durch ihr eigenes Medium, nur um so voller aufs Original fallen. Das vermag vor allem Wörtlichkeit in der Übertragung der Syntax und gerade sie erweist das Wort, nicht den Satz als das Urelement des Übersetzers. Denn der Satz ist die Mauer vor der Sprache des Originals, Wörtlichkeit die Arkade.
Walter Benjamin
Das Projekt gründet
im romantischen Glauben: Mörtel
(zwei Diskurse mindestens, nicht
zeitgleich an ihrem Ort)
aufgetragen, man verschreibt
sich der spurlosen Reinheit:
Schönheit
verschworene Bewegung
formt (ohne die nachvollziehbare
Erklärung des Witzes
wert zu sein) zwischen Gott
und uns die Ziegel
die Stützmauer
die Rinne
von der sie sprechen im Himmel